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Bestrafen- aber wie?

Ich erinnere mich gut. Ich war in der dritten Klasse. Mein Lieblingsspiel war Räuber- und Poli. Eigentlich war ich aber immer lieber der Räuber. An einem schulfreien Mittwochnachmittag ging`s hoch her. Ein regelrechter Kampf zwischen gut und böse spielte sich in unserer Gasse ab.

Und dann geschah es: Mit meiner Steinschleuder (in den 70 er Jahren ein ganz normales Utensil für einen Buben) verletzte ich eine Politesse am Rücken. Das Mädchen weinte, rannte nach Hause und musste durch den Arzt behandelt werden. Das Spiel war beendet.

Mit einem schlechten Gewissen schlich ich nach Hause. Kaum zu Hause angekommen klingelte das Telefon. Die Mutter des verletzten Mädchens informierte meine Mutter zum Vorfall. Gott sei Dank: Die Verletzung war nicht schlimm.

Wie würden Sie als Mutter als Vater auf einen solchen Vorfall reagieren?

Bevor ich Ihnen meine Geschichte weitererzähle, hier ein paar Gedanken zum Thema Strafen und Konsequenz in der Erziehung.

Klar, ein solcher oder ähnlicher Vorfall wie oben beschrieben, bedingt eine Konsequenz. Wie Regelübertitte im Allgemeinen übrigens auch.

Was sind nun aber angemessene Konsequenzen oder Strafen?

Gott sei Dank: Die Zeiten der körperlichen Züchtigung von Kindern, Jugendlichen sind überwunden. Körperliche Strafen wie Schlagen, ein Klaps, Essensentzug, Blossstellung sind auch gemäss UNO Kinderrechtskonvention ein «no go».

Und das mit gutem Grund. Denn: Wenn Kinder nur aus Angst gehorchen, ist das keine Erziehung, sondern Dressur.

Gewalt und Angst gefährden die gesunde psychische Entwicklung von Kinder und Jugendlichen nachhaltig. Traumatisierungen, Gefühlsarmut und die Reproduktion von Gewalt sind die Folgen.

Erziehung bedeutet, den Kindern Werte zu vermitteln mit deren Hilfe sie selbst entscheiden können, was richtig und falsch ist. Damit aus Konsequenzen bei Regelverstössen «etwas gelernt werden kann», müssen Regeln verständlich, angemessen und verbindlich sein. Bei Konsequenzen steht das «etwas lernen aus der Situation» im Vordergrund – nicht die Strafe. Das ist für Eltern  und Kinder ein langwieriger und anstrengender Prozess, der zeitraubend ist, der Kraft und Nerven kostet.

Eltern und Erziehungspersonen müssen die Werte vorleben, die sie vermitteln wollen. Taten gelten bei Kindern mehr als Worte. Niemand verlangt von Eltern, dass das immer perfekt klappt. Natürlich kann man auch mal die Nerven verlieren. Man sollte sich bloss nicht einreden, dass das in Ordnung ist. Es ist natürlich, auch mal die Nerven zu verlieren und rumzuschreien, aber es ist immer auch ein Rückfall in die Steinzeit, als das Recht des Stärkeren galt. Und Schläge – auch wenn man sie als «kleinen Klaps» beschönigt – sind nie in Ordnung. Wer Schmerzen als Erziehungsmittel einsetzt, hat nichts begriffen.

Konsequenzen müssen einen Lernprozess ermöglichen. Einen Bezug zum Regelübertritt haben, eine Wiedergutmachung und eine persönliche Auseinandersetzung mit der Tat enthalten.

Wie bei einem Verstoss gegen ein Gesetz, sind bei der entsprechenden Konsequenz die Verhältnismässigkeit und die individuelle Voraussetzung zur «Tat» zu beachten:

  • Handelt es sich um einen Einzelfall oder um Wiederholung?
  • Mit welcher Absicht wurde die Regel übertreten? Mutwillig oder aus Leichtsinn?
  • In welchem Zusammenhang oder Kontext steht der Regelübertritt zur aktuellen Situation?

Konsequenzen können sein:

  • Erledigung von Hausarbeit für die Familie
  • Verzicht auf Ausgang
  • Verzicht auf Medien, inkl. Smartphone
  • Besuch einer Gewaltberatung
  • Backen eines Kuchen für die Familie
  • Abgabe von Urinproben unter ärztlicher Begleitung bei Verdacht auf Suchtmittelmissbrauch

Zurück zur Geschichte: Meine Mutter wurde nach dem Telefonat laut mit mir. Bestimmt und klar gab sie mir zu Verstehen: Sie sei enttäuscht von mir. Zudem hätte ich die Abmachung gebrochen, mit der Steinschleuder nicht auf Menschen zu zielen.

Die Steinschleuder nahm sie mir ab und warf sie in den Kübel. Trotz des schönen Wetters, musste ich an diesem Nachmittag drinnen bleiben. Dann gab sie mir noch den Auftrag zu überlegen, wie ich mich entschuldigen und die Sache in Ordnung bringen möchte.

Vor dem Nachessen kaufte ich mit meinem Sackgeld dem Nachbarsmädchen irgendwas Süsses aus der Bäckerei, klingelte an ihrer Tür (ohne Begleitung meiner Mutter: das war fast das schwierigste) und entschuldigte mich bei dem Mädchen und den Eltern.

Der Vater des Mädchens schimpfte noch gehörig mit mir. Was ich aber in Ordnung fand. Ich schämte mich. Irgendwie erleichtert ging ich nach Hause.

Eine Steinschleuder hatte ich danach nie mehr. Die Geschichte blieb einmalig – ich hatte «etwas gelernt».

Einen Monat später war ich dann übrigens beim Kindergeburtstagsfest des Mädchens eingeladen. Und gut war`s.

René Rinert, Leiter Stiftung Wäsmeli, Sozialpädagoge

Veröffentlicht am

18 April, 2018

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